„So einsam sind sie in ihrem um die Erde kreisenden Raumschiff und gleichzeitig einander so nah, dass ihre Gedanken, ihre individuellen Mythologien, bisweilen zusammenfinden.“

Die Erwartungen an dieses Buch waren hoch, immerhin hat es den Booker Prize 2024 gewonnen als bestes englischsprachiges Buch. Und es tauchte auf Obamas Leseliste 2024 auf. Leider hat es zumindest meine Erwartungen überhaupt nicht erfüllt.

Worum geht’s? Es geht um vier Astronauten und zwei Kosmonauten auf der ISS, einen Tag lang. Sie sind bunt zusammengewürfelt aus allen Teilen der Erde. Wir erleben mit ihnen den Alltag in der Raumstation, vom Magnetbesteck bis zum Weltraumspaziergang.

Dieses Setting könnte extrem spannend sein, wie man allein schon von den Erzählungen der deutschen Astronauten Alexander Gerst und Matthias Maurer weiß. Könnte. Stattdessen hat es mich aber nur gelangweilt. Seitenweise wird beschrieben, über welche Länder man gerade fliegt und wie diese aussehen, welche Farbe sie haben. Gut, man kann sagen dass genau diese langen Beschreibungen sehr gut das Gefühl vermitteln, was die Menschen dort oben haben, die jegliches Zeitgefühl verlieren und jegliches Gefühl von Landesgrenzen. Insofern lasse ich das noch gelten. Es gibt auch einige gute Gedanken darin:

„Manchmal möchte Nell Shaun fragen, wie er Astronaut sein und gleichzeitig an Gott glauben kann, den Gott aus der Schöpfungsgeschichte, doch sie weiß, wie seine Antwort lauten würde. Er würde fragen, wie sie Astronautin sein und nicht an Gott glauben kann. Sie würden auf keinen gemeinsamen Nenner kommen.“

Man merkt auch, dass Samantha Harvey gut recherchiert hat, es sind Geschichten über verlorene Schrauben im Lüftungsschacht drin und über Weltraumschrott, über die zwei unterschiedlichen Toiletten im russischen und internationalen Teil und ähnliches. Aber das sind Dinge, die man eigentlich auch schon in zahlreichen Interviews gehört hat.

Was mich letztlich sehr gestört hat war, dass ich so gut wie nichts über die sechs Menschen erfahre. Gut, eine Astronautin bekommt im All die Nachricht, dass ihre Mutter gestorben ist. Ein Astronaut vermisst seine Frau. Aber all das bleibt für mich an der Oberfläche, ich komme keiner dieser Figuren nah, ich weiß nicht wie sie aussehen, was für einen Charakter sie haben, wie sie miteinander umgehen. Genau das hätte ich aber spannend gefunden – wie hält man es monatelang miteinander auf engstem Raum aus? Was passiert, wenn es doch mal einen Konflikt gibt? Man hätte so viele Situationen erfinden können, die spannend gewesen wären, einfach aus menschlicher Sicht. Daher bietet für mich dieses Buch hauptsächlich vertane Chancen und ich verstehe den Hype leider nicht. Ach, und es gibt keine Anführungszeichen, was sowieso ein rotes Tuch ist.